Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten

Vorgekostet

Von Alf Tondern.

An einem schönen Sommerabend im Biergarten nahm mich mein Schulfreund Max beiseite: „Willst du meinen Job haben?“ „Ich weiß nicht mal genau, was du machst Max, nur dass du für unseren Ministerpräsidenten arbeitest.“ „Ich bin erster Vorkoster“, sagte Max, „das heißt, eigentlich bin ich dem Rang nach der zweite; aber ich bin der allererste, der die Speisen und Getränke für den Regierungschef probiert.“ „Und warum willst du den Job aufgeben? Scheint eine krisenfeste Stellung zu sein.“ „Ich werde befördert. Eine verantwortungsvolle Tätigkeit im Ausland. Einzelheiten darf ich nicht nennen,“ er legte den Zeigefinger auf die Lippen und sah mich bedeutungsvoll an. Ich habe nicht weiter nachgefragt. Wir verabschiedeten uns besonders herzlich, denn Max sagte, er werde nun lange fort sein.

Auf seine Empfehlung hin, bewarb ich mich beim Büro des Ministerpräsidenten. Man sagte mir, dass man meine Vergangenheit penibel überprüfen werde, sogar die Liebschaften und den Abituraufsatz. Ich unterschrieb ein Aufnahmegesuch für den Geheimdienst und war Vorkostanwärter.

Du glaubst gar nicht, lieber Leser, was man in meinem künftigen Amt alles wissen muss! Vormittags besuchte ich Vorträge über Warenkunde an der Lebensmittelakademie und nachmittags konkurrierte ich bei der Kochschule mit zehn bis zwanzig Flatterhühnern – pardon, ich meine natürlich jungen Damen. Dann kam endlich der große Tag, wo mich mein Chef, Obervorkoster Bernhard Biermann, offiziell in sein Team aufnahm. „Du trittst an die Stelle von Max. Damit hast du theoretisch das größte Risiko, vergiftet zu werden“, sagte er zur Begrüßung, „aber, weil alle wissen, dass der Ministerpräsident Vorkoster beschäftigt, kann dir praktisch nichts passieren! Wenn dir etwas auffällt, oder dir gar schlecht werden sollte, erstattest du sofort Meldung. Du bist privat krankenversichert und im allerschlimmsten Fall erhalten deine Angehörigen eine komfortable Pension.“ So eingewiesen, ging ich mit Feuereifer an die Arbeit.

Ich hatte keine Vorstellung davon, welche Köstlichkeiten ich in den nächsten Wochen berufsbedingt kennenlernen durfte. Lendensteaks vom grönländischen Moschusochsen, Seetang mit Wachteleiern,

Störkaviar aus dem Schwarzen Meer auf russischen Blinis, dazu Pommery, Edition Speciale. Eine halbe Stunde später kam Biermann zur Zweitkontrolle – mit nachsichtigem Grinsen, weil ich den Superkaviar als seifig bezeichnet hatte. Ich musste halt noch viel lernen! „Über die Zutaten“, erläuterte er, „brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Die kontrollieren vorab der Mike und der Siggi, das reicht bis zu den Lieferanten“!

Gerade, als ich mich gut eingearbeitet hatte, bekam ich auf dem Home-Computer überraschend eine Mail vom Max. „Ich benötige dringend eine Speichelprobe vom Ministerpräsidenten – wie du sie nimmst und an wen du sie übergibst, steht im Anhang. Streng vertraulich folgender Hintergrund: es geht um eine sehr seltene Krankheit, die nur im Ausland erfolgreich behandelt werden kann. Du ahnst ja längst, für welche Organisation ich jetzt tätig bin. Die Mail bitte sofort Löschen; absolute Diskretion!“

Trotz mancher Zweifel machte ich mich sofort an die Arbeit. Würde man dem Regierungschef, den ich sehr schätzte, auf diese Weise wirklich helfen können? Und was, wenn seine DNA in falsche Hände geriet? Sicher war, dass er bald Hilfe brauchte, denn er hatte in letzter Zeit zwei Schwächeanfälle erlitten. Kürzlich hatte ich ihn sogar kennengelernt. Es war in der Küche, wo er sich persönlich für ein besonders gelungenes Menü bedankte. „Das hier ist der wichtigste Mann“, sagte der Küchenchef launig als er mich vorstellte, „dieses Leckermaul entscheidet, was ich ihnen vorsetzen darf und was nicht.“ Der Ministerpräsident gab mir die Hand. „Dann kann ich nur sagen, weiter so!“

Zehn Tage lang wartete ich auf eine passende Gelegenheit. Ich muss vorausschicken, dass wir von der Vorkostung bei Personalengpässen auch zum Servieren eingeteilt wurden; ganz leger in Alltagskleidung und bei Staatsempfängen natürlich in schwarzer Livree. Und eines Tages wurde ich Zeuge, wie ein Kellner die benutzte Kaffeetasse des Regierungschefs fallen ließ. Ich nahm sie eifrig an mich, nur der Henkel fehlte. Schnell damit auf die Toilette! Mit klopfendem Herzen wischte ich gründlich den Tassenrand ab. Den Wattebausch dazu hatte

ich in einem sterilen Röhrchen ganz hinten unter das Waschbecken geklebt. Max, ich darf dir jetzt keine Schande machen!

Lassen wir den entsetzlichen Stress, der mit der Übergabe meines Beutestücks an den Beauftragten von Max verbunden war – es handelte sich übrigens um eine Sie! Ich war froh und stolz, dass es mir gelang, eine gute Tat zu vollbringen; ja, ein klein Wenig den Lauf der Weltgeschichte zu beeinflussen. Je länger unser Regierungschef sein Amt ausüben konnte, so meine feste Überzeugung, desto sicherer konnten wir hier in Frieden leben.

Monate gingen ins Land; meine Arbeit erschien mir zunehmend eintönig, wurde zu Routine. Und dann das: der Musiksender, den ich morgens der guten Laune wegen vorbeiplätschern ließ, unterbrach sein Programm: „Ministerpräsident Pascal Appelmann ist mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Zur Begründung verwies er auf seine angegriffene Gesundheit. Schon in den Tagen zuvor war durchgesickert, dass Appelmann an einer seltenen, genetisch bedingten Krankheit leidet, die jederzeit zu Blackouts führen kann. Vor längerer Zeit hatte Appelmann kurz hintereinander zwei Schwächeanfälle erlitten. Den Ausschlag soll jetzt eine DNA-Probe gegeben haben, die möglicherweise illegal beschafft worden ist. Als Appelmanns Nachfolger kommt vor allem der bisherige Verteidigungsminister Cordt Kriegenkerl infrage. Wir erwarten in Kürze einen Bericht unseres Hauptstadtkorrespondenten. Bleiben Sie dran!“ Einen so langen Textbeitrag hatte der blöde Dudelsender kaum je gebracht – ich aber ging langsam in die Knie.

Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen! Kriegenkerl wurde als Regierungschef vereidigt, durch meine Mitschuld. Kriegenkerl, das klingt doch wie Krieg. Als erstes wird er eine Teilmobilisierung der Streitkräfte anordnen, da bin ich mir sicher, die Vorstufe zu unserem Eintritt in den drohenden Krieg. Und ich Idiot habe seinen friedliebenden Vorgänger ans Messer geliefert. Ganz wider Willen!!! Max hat meine Freundschaft gröblich missbraucht. Ich wette, er taucht hier nie wieder auf, der Doppelagent.

Werbung
%d Bloggern gefällt das: